Vom Explosionsbier zur Brauanlage
Phase 1: Craftbier Virus
April 2007, Ankunft in USA auf dem Flughafen O'Hair in Chicago; erst mal ein Bier trinken...ich bekam ein Sam Adams Boston Lager - wow, tolles Bier, besondere Farbe, klasse Geschmack. Die erste Berührung mit sog. Craft Bier. In den folgenden zweieinhalb Jahren in USA folgten viele weitere Berührungen mit der unglaublichen Vielfalt an Bieren aus kleinen Brauereien. So etwas kannte ich damals bei uns zu Hause nicht. Hier gab (und gibt es) praktisch nur Pils-Trinker und die einzigen Diskussionen bestanden in der Frage, ob Park Bräu, Karlsberg Urpils oder Bit bevorzugt wird.
Phase 2: Einstieg ins Bierbrauen
Infiziert mit dem Craftbier-Virus und zurück in Wattweiler, meldete ich mich im März 2010 mit zwei Kumpels zu einem Braukurs an. In einem ehemaligen Kuhstall irgendwo im Westerwald standen Einkocher auf den Tischen. Zu sehr unterhaltsamen Erläuterungen - es war eher Comedy - rührten wir Maische und tranken einen Schoppen nach dem anderen, um die Teilnahmegebühr raus zu bekommen. Letztlich blieb nicht viel hängen, außer der Erkenntnis, dass ich zu Hause einen Einkocher habe, also selber Bier brauen kann.
Mit Hubert Hanghofers Buch "Gutes Bier selber brauen" in der Hand, begann 2011 der erste Brautag im Keller. Chaos, Improvisation, Verzweiflung und Hoffnung bestimmten das Geschehen, an dessen Ende irgendwie ein trinkbares Bier herauskam. Voller Stolz wurde der nächste Brautag ins Auge gefaßt, natürlich mit ersten Verbesserungen, was Ablauf, Ausrüstung und Wissen angeht.
Auch der zweite Sud war trinkbar, deshalb fühlte ich mich schon als Brauer, und als solcher will man endlich den Freundeskreis mit seinen einzigartigen Craftbieren beglücken - die Idee zum Bierfest war geboren.
Phase 3: Bierfest & Explosionsbier
Für so ein Fest mit erwartungsvollen Gästen sollten mehrere Biere und in größeren Mengen gebraut und abgefüllt werden. Also wurden größere Flaschen (2 & 3 Liter) und günstige Fässer (ohne Keg, nur zum Anschlagen) besorgt. Nach einigen Brautagen waren die Flaschen und Fässer gefüllt und reiften vor sich hin. Irgendwann vor dem Bierfest schnappte ich mir eine 3-Liter-Flasche und ging zu Wolfi, um eine Qualitätskontrolle durchzuführen. Zwei Schoppengläser auf den Tisch, Flasche auf und ... eine armdicke Bierfontäne schoß aus der Flasche bis ans Schuppendach. Zur Verkostung blieb knapp ein Liter in der Flasche; Geschmack o.k., aber der Überdruck war besorgniserregend.
Nun ja, das erste Bierfest fand am 7. Juli 2012 statt, die Gäste kamen und dann kam es wie es kommen mußte; die Fässer angeschlagen und ein paar Bierchen gezapft, alles gut, bis ein Zapfhahn aus einem Faß flog, gefolgt von einem kräftigen Bierstrahl, der beinahe einen Gast von der Sitzbank gehauen hätte. Was solls, kurz nach Hause gehen, waschen und frisches T-Shirt anziehen und weiter gings. Nach vielen Jahren ist dieses erste Bierfest mit seinem Explosionsbier immer noch legendär. Und es lenkte meinen Fokus auf ein paar "Details", denen ich bis dahin nicht so viel Beachtung schenkte: Karbonisierung, Planen, Messen & Dokumentieren, Kapazität der Brauanlage.
Zur Karbonisierung hatte ich anfangs mit Speise gearbeitet, d.h. in das (mehr oder weniger) endvergorene Bier die Speise einrühren und dann in Flaschen oder Fässer abfüllen. Nach den negativen Erfahrungen vom Bierfest entschloss ich mich, zur Karbonisierung mit Zucker; das erschien mir leichter zu dosieren und anzuwenden - und so mache ich das heute noch. Zur Bestimmung der richtigen Zuckermenge schnappte ich mir wieder Hanghofer's Buch mit seinen Erläuterungen, Formeln und Tabellen. Letztere hackte ich in eine Excel-Tabelle, um mit ein paar Eingaben die nötige Zuckermenge je Liter zu bekommen. Damit ist das Thema Explosionsbier seither erledigt und der Anfang meines eigenen Brauplaners auf Excel-Basis war gemacht.
Meinen Brauplaner entwickele ich seither stetig weiter und inzwischen errechnet und dokumentiert er mir so ziemlich alles (Malz, Schüttung, Farbe, Hopfengaben und Bittere, Hefe und Starter, Dekoktion und Infusion, bis hin zu den Kosten je Sud und Brauterminen je Biersorte).
Aber zurück zur Braunanlage: Mit einem Einkocher, Töpfen, Küchenofen mit Holzfeuerung, selbstgebasteltem Läuterbehälter usw. war ich in der 20-Liter-Klasse unterwegs, d.h., ein langer Brautag bringt nur 20 Liter Bier. Der logische Gedanke: Mit größerer Kapazität dauert der Brautag genauso lange und es gibt mehr Bier - also Aufstieg in die 50-Liter-Klasse.
Phase 4: Wurstkessel mit Holzfeuerung
Da ich kein Elektro- und Computer Freak bin, wollte ich weiterhin handwerklich-mechanisch brauen. Deshalb entschied ich mich dazu, mein Bier in holzbefeuerten Wurstkesseln zu brauen, einen kleineren zum Maischen und einen großen (125 Liter) zum Würzekochen. Beide recht günstig in Ebay ersteigert.
Zum großen Wurstkessel ist noch folgende Geschichte erwähnenswert: Der Belonia-Kessel war nicht sehr alt und in sehr gutem Zustand, allerdings stand er in einem kleinen Dorf irgendwo in Bayern. Etwas sorglos fuhr ich mit meinem Rav4 dort hin. Wir schleppten die beiden Teile aus dem Keller, der oberer (leichtere) Ring ging gut ins Auto, aber das schwere Unterteil mit Feuerraum konnten wir nicht einladen; wegen der seitlich aufgehenden Heckklappe das Rav4 war einfach kein Platz, um das schwere Ding mit 3 Mann einzuladen. Als wir rat- und hilflos hinter dem Auto standen, bog zufällig ein riesiger Gabelstapler um die Ecke - die Rettung! Der nette Fahrer nahm den Ring auf die Gabelspitzen und platzierte ihn vorsichtig im Kofferraum; Klappe zu und ab damit nach Hause.
Bis heute frage ich mich, wie wahrscheinlich es ist, dass in einem kleinen Dorf ein großer Gabelstapler just in dem Moment um die Ecke kommt, wenn man einen Braukessel verladen will? Ich würde sagen, die Wahrscheinlichkeit geht gegen Null, deshalb war das ein Zeichen, das mir sagte: Du sollst weiter Bier brauen!
Mit meiner holzbefeuerten Wurstkessel-Anlage habe ich jahrelang gebraut. Die Rasttemperaturen konnte ich recht präzise erreichen und halten, indem ich das Feuer mit einer Stahlschaufel zum richtigen Zeitpunkt herausnahm. Bei längeren Rastdauern wurde ggf. kurz nachgeheizt. Zu Beginn habe ich völlig ohne Strom gebraut - das geht auch heute noch (ein beruhigendes Gefühl), aber die Bohrmaschine zum Schroten, das Rührwerk zum Rühren und die Pumpe für das Kühlwasser erleichtern die Arbeit erheblich.
Phase 5: Die Moderne Brauanlage
Obwohl mit meiner Wurstkessel-Anlage immer gutes Bier entstand und ich über diese altmodisch-handwerkliche Methode vieles gelernt habe, reifte im Herbst 2023 der Wunsch nach einer neuen Brauanlage aus folgenden Gründen:
Wiederholgenauigkeit verbessern: Je nach Witterung und Holzqualität variieren die Aufheizzeiten z.T. erheblich, was den Geschmack beeinflussen kann. Die Rasttemperaturen konnte ich ziemlich gut "ansteuern", aber eben nur ziemlich, u.s.w.
Arbeitsaufwand reduzieren: Kein Holz hacken mehr zur Feuerung der Kessel (Spänchen und Fichtenholz für schnelle Hitze beim Maischen, Buchenholz zum Kochen).
Qualität verbessern: Eine gesteuert Gärführung sollte auch her. Bisher hatte ich diesen Bereich sehr stiefmütterlich behandelt - untergärig im einigermaßen kühlen Kellerraum, obergärig im warmen Heizungskeller.
PV-Anlage nutzen: Mit unserer neuen PV-Anlage auf dem Dach, kann ich jetzt (bei gutem Wetter) kostenlos mit Strom brauen.
Nach vielen Stunden Recherchen im Internet entschied ich mich für den Speidel Braumeister 50 plus samt Edelstahl-Gärbehälter und Temperaturführung. Alles in Allem eine recht große Investition, aber was solls, andere geben für ein popeliges Fahrrad mehr aus.
Meine Wurstkessel bleiben natürlich einsatzbereit. So kann kann ich nach Belieben nochmal altmodisch auf Holzfeuer brauen (z.B. ein Zwickl), oder im Dekoktionsverfahren maischen, oder anschaulich vorführen, wie der Brauprozeß ohne Computersteuerung funktioniert.
Nach einigen Suden in der neuen Anlage bin ich recht zufrieden; der Brautag verläuft viel entspannter, Rezepte können quasi identisch wiederholt werden, die Anlage sieht toll aus und die kontrollierte Gärführung samt Cold Crash läßt das Brauerherz höher schlagen. Nach den wenigen Suden fehlen mir noch ein paar Erfahrungswerte, die Sudhausausbeute ist noch weit von der Wurstkessel-Anlage entfernt, aber es geht ja immer weiter...